Interviewsshowcases

WIR brauchen LEBENSFREUDE: Ein Jahr nach dem Messeranschlag

Die kreisfreie Stadt Solingen hat 165.000 Einwohner:innen. Sie liegt im Herzen des Bergischen Landes zwischen Ruhr- und Rheinschiene. 1993 wurde die Stadtgesellschaft durch den Brandanschlag von fünf jungen Neonazis erschüttert und in den Fokus der internationalen Berichterstattung gerückt. Seitdem hat sich Solingen sehr bemüht, die friedliche Koexistenz und die positive Identifikation mit der Stadt zu [...]

Aktualisiert:
3 Min. Lesezeit
WIR brauchen LEBENSFREUDE: Ein Jahr nach dem Messeranschlag
Artikel teilen:

Die kreisfreie Stadt Solingen hat 165.000 Einwohner:innen. Sie liegt im Herzen des Bergischen Landes zwischen Ruhr- und Rheinschiene. 1993 wurde die Stadtgesellschaft durch den Brandanschlag von fünf jungen Neonazis erschüttert und in den Fokus der internationalen Berichterstattung gerückt. Seitdem hat sich Solingen sehr bemüht, die friedliche Koexistenz und die positive Identifikation mit der Stadt zu fördern. 2024 war das Jahr des 650-jährigen Stadtjubiläums, in dem viele fröhliche Feste stattfinden sollten. Diese Feste werden in Solingen traditionell von der Bürgerschaft getragen und organisiert und nicht von der Verwaltung. Am 23. August 2024 fand als Höhepunkt ein Fest der Vielfalt statt, was ein – inzwischen verurteilter –IS-Terrorist für einen heimtückischen Messermord an drei Menschen mit noch acht zum Teil schwer verletzten auserkor. Obwohl schon in der Vergangenheit hohe Sicherheitsauflagen galten, sind diese noch mal intensiviert worden, was allerdings an die Grenze des Leistbaren führt. showcases sprach mit dem Oberbürgermeister Tim Kurzbach.

Mit was für einem Gefühl gehst Du beziehungsweise gingst Du in die neuen Volksfeste in diesem Jahr?

Tim Kurzbach: Der Abend des 23. August 2024 hat sich unauslöschlich eingebrannt – in mein Gedächtnis und in das vieler Solingerinnen und Solinger. Die Tat war sinnlos, unbegreiflich, unverschuldet. Und doch: Sie ist geschehen. Wir können sie nicht ungeschehen machen. Aber wir können entscheiden, wie wir damit umgehen.

Meine Haltung ist klar: So schwer es fällt – wir finden zurück ins Leben. Schritt für Schritt. Wir lassen uns nicht einschüchtern. Wir lassen uns nicht spalten. Wir halten zusammen. Und wir feiern weiterhin das Leben in seiner Vielfalt – gerade weil man es uns nehmen wollte.

Wie ist es Euch gelungen, so was wie eine Normalität für diese Neuauflagen der Stadtfeste zu schaffen?

TK: Durch einen engen Austausch – mit den Sicherheitsbehörden, mit den Veranstalterinnen und Veranstaltern, aber auch mit den Menschen in Solingen. Nach dem Attentat sind wir in den Dialog gegangen, haben zugehört, erklärt, diskutiert. Die bestehenden Sicherheitskonzepte haben wir an verschiedenen Stellen nachgeschärft. Das geschah vor allem mit Blick auf die Taten, die bundesweit noch nach dem Solinger Attentat geschehen sind.

Die Stadt Solingen hat 2025 300.000 Euro bereitgestellt, um die Veranstalter:innen bei den Sicherheitsauflagen wie den zusätzlichen sperren zu unterstützen. Wird sie das auch 2026 und in den folgenden Jahren tun?

TK: Der Stadtrat hat im Februar 2025 beschlossen, im städtischen Haushalt eine Position von 300.000 Euro zur Unterstützung des ehrenamtlichen Engagements großer Veranstaltungen zur Verfügung zu stellen. Zu den geförderten Events gehörten unter anderem der Rosenmontagszug, der Zöppkesmarkt und die Sommerparty »Echt.Scharf.Solingen« 2025. Ob solche Mittel auch für kommende Veranstaltungsjahre bereitgestellt werden können, wird zu einem späteren Zeitpunkt in den politischen Gremien beraten.

Welche Funktion haben die Stadtfeste für eine Stadt, deren Stadtgesellschaft durch zwei Brandanschläge und ein Messerattentat erschüttert wurde?

TK: Was geschehen ist, hat Solingen geprägt. Da ist die Erinnerung, da ist die Trauer. Aber da ist eben auch das Leben und die Freude. Beides gehört zusammen. Natürlich haben die Ereignisse auch die Veranstaltungen danach beeinflusst – ob Weihnachtsmärkte, Rosenmontagszug oder Sommerfest: Sie fanden unter neuen Sicherheitsauflagen, mit mehr Wachsamkeit, mit mehr Verantwortungsbewusstsein. Aber sie fanden statt. Und die Menschen sind gekommen. Die Solingerinnen und Solinger haben gezeigt: Wir brauchen die Begegnung. Wir brauchen Lebensfreude, wir brauchen einander. Solingen steht nicht nur für Schmerz und Leid. Solingen steht auch für Kraft, Offenheit und Zusammenhalt. Unsere Stadtfeste zeigen: Wir sind eine Stadt mit Geschichte, mit Kultur, mit Vielfalt – und mit dem Willen, trotz allem weiterzumachen. Solingen lebt. Und das ist die vielleicht stärkste Botschaft, die wir gemeinsam senden können.

Danke für das Interview!

Die komplette showcases-Ausgabe findest du hier: https://ebooks.memo-media.de/fokus-stadtfeste-i-showcases-2025-04/70781442

Interviewsshowcases

k.meisner@memo-media.de

Redakteur bei showcases

Weitere Artikel

ERSTER AUSBLICK AUF DIE 37. INTERNATIONALE KULTURBÖRSE: Die Branche trifft sich in Freiburg
Indoor

ERSTER AUSBLICK AUF DIE 37. INTERNATIONALE KULTURBÖRSE: Die Branche trifft sich in Freiburg

Die Internationale Kulturbörse Freiburg (IKF) ist seit langem ein jährliches Highlight für die Kulturbranche. Als größte Fachmesse im deutschsprachigen Raum für Bühnen-, Outdoor- und Musikproduktionen bietet sie vom 26. bis 28. Januar 2026 wieder einen umfangreichen Einblick in Shows und Auftritte internationaler Künstlerinnen und Künstler und Ensembles aus den Bereichen Darstellende Kunst, Musik und Theater [...]

5 Min.
Weiterlesen
JUNGE TALENTE IN BOCHUM: OPENSPACE HAT HOHEN BESUCH
Reports

JUNGE TALENTE IN BOCHUM: OPENSPACE HAT HOHEN BESUCH

Das Förderprogramm »New Talents Ruhr« richtet sich an junge kreative Talente aus dem Ruhrgebiet. Egal, ob Performance, Kunst, Tanz, Musik, Artistik, Gesang oder Graffiti. Durch ein individuell abgestimmtes Mentoringprogramm werden sie auf ihrem Weg zu professionellen Künstlerinnen und Künstlern gezielt unterstützt und gefördert. Einen lebendigen Einblick in die Arbeit im zweijährigen Mentoringprogramm erhielten die Ministerin [...]

3 Min.
Weiterlesen
DER MADISON SQUARE GARDEN DES RUHRGEBIETS
Reports

DER MADISON SQUARE GARDEN DES RUHRGEBIETS

100 Jahre Westfalenhallen Unternehmensgruppe: Jubiläum voller Musik, Geschichte und Emotionen Die Feier zum Jubiläum der Westfalenhalle war am 2. September ein Abend der ganz großen Gefühle – doch wer war nun eigentlich der Star dieses Abends? Herbert Grönemeyer, die Dortmunder Westfalenhalle oder doch das Publikum, das nicht müde wurde, beide zu feiern? »Für mich war [...]

3 Min.
Weiterlesen

Mehr aus dem Magazin

Entdecke weitere spannende Artikel, Cases und Insights

Alle Artikel ansehen