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Den öffentlichen Raum mit Leben füllen

Die showcases-Expert:innenrunde zum Stadtmarketing Stadtfeste sind ein wichtiges Instrument des Stadtmarketings, locken sie doch Besuchende von auswärts und bieten Identifikation nach innen. Die Veränderungen der Innenstädte und die Anschläge auf Stadt- und Volksfeste sind große Herausforderungen für deren Zukunft. showcases befragte verantwortliche Profis aus der ganzen Republik. Anna Bierig ist Geschäftsführerin der StaRT – Stadtmarketing [...]

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Den öffentlichen Raum mit Leben füllen
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Die showcases-Expert:innenrunde zum Stadtmarketing

Stadtfeste sind ein wichtiges Instrument des Stadtmarketings, locken sie doch Besuchende von auswärts und bieten Identifikation nach innen. Die Veränderungen der Innenstädte und die Anschläge auf Stadt- und Volksfeste sind große Herausforderungen für deren Zukunft. showcases befragte verantwortliche Profis aus der ganzen Republik.

Anna Bierig ist Geschäftsführerin der StaRT – Stadtmarketing und Tourismus Reutlingen GmbH, Richard Röhrhoff ist der Geschäftsführer EMG – Essen Marketing GmbH, Lena Schaller ist Geschäftsführerin des Dachverbands Stadtmarketing Plauen e. V. und Dr. Christian Scharpf leitet das Referat für Arbeit und Wirtschaft der Landeshauptstadt München und verantwortet unter anderem das größte Volksfest der Welt, das Oktoberfest und den Christkindlmarkt am Marienplatz.

Öffentliche Feste gelten oft als niederschwellige Orte der Begegnung. Seht Ihr sie als Beitrag zu gesellschaftlichem Zusammenhalt – oder ist das zu hoch gegriffen?

Anna Bierig: Öffentliche Feste sind für uns ein zentraler Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt. Das zeigt sich bei nahezu allen unseren Veranstaltungen. Sie sind »umsonst und draußen«, stehen allen offen und bringen Menschen aller Generationen und Kulturen miteinander ins Gespräch. Diese niederschwelligen Begegnungen stiften ein Wir-Gefühl, das weit über die Veranstaltung hinaus wirkt.

Richard Röhrhoff: Auf jeden Fall, gerade in der heutigen Zeit wird das immer wichtiger.

Lena Schaller: Stadtfeste wie unser Plauener Spitzenfest haben eine lange Tradition und sind in der Bevölkerung sehr beliebt. Sie bieten Gelegenheit, Bekannte zu treffen, durch die Innenstadt zu flanieren und Neues zu entdecken. Damit tragen sie durchaus zu Begegnung und Miteinander bei. Gleichzeitig entsteht gesellschaftlicher Zusammenhalt nicht allein durch Feierlichkeiten – dafür braucht es ergänzende Projekte und Initiativen über das ganze Jahr, die Menschen, Vereine und Unternehmen zusammenbringen. Dies verfolgen wir mit unserer Arbeit als Dachverband Stadtmarketing Plauen e. V.

Dr. Christian Scharpf: Öffentliche Feste sind viel mehr als nur Unterhaltung – sie schaffen Gelegenheiten, bei denen Menschen unterschiedlichster Herkunft miteinander ins Gespräch kommen, sich austauschen gemeinsam Spaß haben können.

Sie bieten einen Raum, in dem gesellschaftliche Vielfalt erlebbar wird und spontan neue Kontakte entstehen können. Das stärkt den Dialog, das gegenseitige Verständnis und das Gefühl von Verbundenheit.

Was bedeutet es für eine Stadt, ihren öffentlichen Raum zu bespielen? Ist das ein Akt von Verantwortung, von Kulturarbeit – oder einfach »gute Laune für alle«?

AB: Den öffentlichen Raum mit Leben zu füllen, ist Verantwortung und Chance zugleich. Wir sorgen dafür, dass Innenstädte pulsieren, Gastronomie und Handel profitieren und die Menschen sich sicher fühlen, weil »etwas los ist«. Aber es geht um mehr: Veranstaltungen sind immer auch Kulturarbeit, eine Bühne für Vielfalt, manchmal auch ein Ort für kritische Themen und Dialog. Gleichzeitig schaffen wir Strukturen, damit Vereine, Initiativen und Bürger:innen selbst zu Gestalter:innen werden können. Am Ende ist es für die Gäste »gute Laune für alle« – und das darf es auch sein. Dahinter steckt aber viel konzeptionelle Arbeit, die eine Stadt langfristig stärkt.

RR: Es ist ja eine Frage des Lebensgefühls und daher auch in allen Städten individuell. Wir in Essen zum Beispiel bespielen gerade unsere Innenstadt sehr stark.

CS: Es ist ein Mix aus allem. Die Stadt trägt die Verantwortung, den öffentlichen Raum mit Leben zu füllen und Raum für Begegnung zu schaffen. Dabei geht es nicht nur um »gute Laune«, sondern darum, den öffentlichen Raum lebendig zu machen – für Gäste und Einheimische gleichermaßen. Feste und Veranstaltungen können dabei eine identitätsstiftende Wirkung entfalten.

Sie fördern den gesellschaftlichen Zusammenhalt, stärken das Wir-Gefühl und machen die Stadt erlebbar. Gleichzeitig handeln wir mit unseren Veranstaltungen strategisch, um Münchens Attraktivität und ihre Stellung im nationalen und internationalen Wettbewerb zu stärken. Öffentliche Feste sind ein wichtiger Bestandteil der modernen Stadtentwicklung und Kulturarbeit, die weit über bloße Unterhaltung hinausgehen.

Es ist ja eine Frage des
Lebensgefühls und daher auch
in allen Städten individuell. -Richard Röhrhoff

Welche Ziele verfolgt Ihr mit Euren Stadtfesten konkret – wirtschaftlich, kulturell, gesellschaftlich? Und was sind die größten inneren Konflikte bei der Planung?

Richard Röhrhoff: Die obersten Ziele sind die Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts, die Attraktivierung der Innenstadt sowie großer Stadtzentren und auch die Imagebildung. Wir haben in Essen sehr unterschiedliche Formate. Mit dem internationalen Weihnachtsmarkt und dem Essen Light Festival veranstalten wir zwei der größten Events in Nordrhein-Westfalen selbst, dazu noch die Essener Lichtwochen und das Stadtfest Essen Original. Daneben haben wir viele Gast- oder Kooperationsveranstaltungen, an denen wir beteiligt sind. Seit der Pandemie versuchen wir zudem, Sport-Events, insbesondere in Trendsportarten, nach Essen zu holen. Die inneren Konflikte drehen sich bei fast allen Veranstaltungen um Sicherheit und die Finanzierung. Die Auflagen steigen, aber die Einnahmemöglichkeiten nicht. Wenn Stadt und Land (Polizei) den öffentlichen Raum nicht ausreichend sichern, kann das nicht zu Lasten der Veranstalter gehen. Die Konsequenz wäre, dass es dann irgendwann keine Events mehr gibt und dies den Zusammenhalt gefährdet.

LS: Ein Ziel ist natürlich, dass die Gäste gut gelaunt und friedlich zusammen feiern. Aber das Spitzenfest steht für mehr: Es finanziert sich größtenteils über Spenden und Sponsoring lokaler Unternehmen. Die Herausforderung liegt darin, ein attraktives Bühnenprogramm zu bieten, das die Gäste keinen Eintritt kostet, und gleichzeitig Tradition zu bewahren; die Plauener Spitze ist schließlich ein Stück Identität und Geschichte der Stadt. So versuchen wir, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu verbinden.

AB: Wir wollen Vereinen eine Plattform bieten, ihre Arbeit zu zeigen und ihre Kassen aufzubessern – und zugleich ein Highlight schaffen, das Bürger:innen, ehemalige Reutlinger:innen und Gäste aus dem Umland verbindet. Die Vielfalt unserer Stadt soll mitten in der Altstadt erlebbar werden – ehrlich und authentisch. Der größte Konflikt liegt in der Finanzierung und der begrenzten Zahl an Flächen für professionelle Gastronomie. Hier sind wir auf Sponsoren und Partner angewiesen, um Qualität und Programm zu sichern.

CS: Mit unseren Veranstaltungen verfolgen wir drei zentrale Ziele. Erstens wirtschaftlich: Die lokale Wirtschaft profitiert direkt von starker Besucherfrequenz, besonders Gastronomie, Handel und Handwerk, aber auch lokale Bands und Gruppen, die zum Beispiel beim Stadtgeburtstag auftreten oder beim Christkindlmarkt musizieren. Zweitens kulturell: Unsere Feste zeigen Münchens Traditionen und fördern das kulturelle Leben. Drittens gesellschaftlich: Wir ermöglichen Begegnung und Dialog. Die Themen, mit denen wir dabei stets befasst sind, sind Sicherheit, die Belastung der Anwohnerinnen und Anwohner, etwa durch Lärm oder Absperrungen, Barrierefreiheit und Nachhaltigkeit.

Neue Sicherheitsauflagen verändern
unsere Arbeit spürbar. Natürlich müssen
wir Schutz ernst nehmen – aber wir
dürfen Feste nicht in Hochsicherheitszonen
verwandeln. – Anna Bierig

Wie verändert sich Eure Arbeit durch neue Sicherheitsauflagen? Und wie verhindert Ihr, dass Feste sich wie »Hochsicherheitszonen « anfühlen?

AB: Neue Sicherheitsauflagen verändern unsere Arbeit spürbar. Natürlich müssen wir Schutz ernst nehmen – aber wir dürfen Feste nicht in Hochsicherheitszonen verwandeln: Sicherheit sichtbar, aber nicht bedrückend. Dafür braucht es den engen Austausch mit den Behörden und ein gemeinsames Ringen um Lösungen. Terrorsperren sind Teil der Realität, doch wir müssen dafür sorgen, dass nicht sie im Gedächtnis bleiben, sondern das, was Menschen erleben: das Bühnenprogramm, die Begegnungen, die Freude.

RR: Unsere Arbeit verändert sich sehr stark, weil wir als Veranstalterin und Partnerin der privaten Veranstalter hier extrem viel Know-how im Bereich der Veranstaltungssicherheit aufbauen müssen. In Nordrhein-Westfalen überlässt die Polizei die Sicherheit den Veranstaltern. Das führt zu Schwierigkeiten bei der Finanzierung. Und das ist es auch, was der Gesetzgeber regeln muss. Es kann ja nicht sein, dass ein Veranstalter dies alles finanzieren muss. Aber man will natürlich auch, dass sich die Gäste wohlfühlen. Wir in Essen finden da immer ganz gute Wege. Die Gäste sehen Sperren und Sicherheitspersonal und finden das auch gut, aber im Kern sind die Events wie früher.

CS: Die Sicherheitsanforderungen sind in den letzten Jahren enorm gestiegen. Barrieren, Zugangskontrollen und ein eng abgestimmtes Sicherheitskonzept sind unverzichtbar geworden. Sie sind eine Herausforderung bei der Organisation und Durchführung von Veranstaltungen und belasten den städtischen Haushalt. Dabei ist unser Ziel stets, alle notwendigen Maßnahmen umzusetzen und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass sich die Besucherinnen und Besucher willkommen fühlen und die Aufenthaltsqualität erhalten bleibt. Über unsere Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sorgen wir dafür, dass unser Publikum stets gut informiert ist. So werden auch Zugangskontrollen sowie Einschränkungen bei der Größe des mitgeführten Gepäcks akzeptiert.

Hat das klassische Stadtfest eine Zukunft – oder braucht es ganz neue Formen? Spürt Ihr Veränderungen bei Publikum, Politik oder Partner:innen? Wie sähe das Stadtfest der Zukunft aus?

CS: Unsere Veranstaltungen wird es auch in Zukunft geben, so wie es Stadtfeste schon immer in der Vergangenheit gegeben hat; man denke nur an mittelalterliche Märkte, Ritterturniere oder Pferderennen. Dabei werden sie sich weiterhin wandeln und immer wieder neu erfinden müssen. Auch an der Nachhaltigkeit und Barrierefreiheit unserer Veranstaltungen werden wir weiterarbeiten. Gerade im Bereich Abfallvermeidung waren wir bereits Anfang der 90er-Jahre Vorreiter. Die städtische Haushaltslage und die Notwendigkeit zu konsolidieren, könnten die Weiterentwicklung unserer Veranstaltungen jedoch einschränken.

AB: Das Stadtfest hat Zukunft – wenn es sich weiterentwickelt. Mit über 100.000 Besucher:innen an zwei Tagen zeigt sich: Reutlingen braucht dieses Fest. Es bringt Kernstadt und Bezirksgemeinden zusammen, macht Vielfalt sichtbar und stärkt die Identifikation mit der eigenen Stadt. Zugleich erwarten Menschen heute mehr Erlebnis, Qualität und Authentizität. Für mich heißt das: Reutlingen feiern, die DNA der Stadt in den Mittelpunkt rücken und mutig neue Formate wagen – gemeinsam mit Partnern und Unterstützern.

LS: Das Stadtfest der Zukunft muss gleichermaßen eine älter werdende Bevölkerung ansprechen und für junge Menschen attraktiv sein. Dafür braucht es Zusammenarbeit mit verschiedenen Akteuren, die ein Gespür für unterschiedliche Zielgruppen haben. Vielfalt im Programm ist entscheidend. Diese Mischung aus Tradition und neuen Ideen macht ein Fest zukunftsfähig.

RR: Ich denke, es wird immer wichtiger. Die Menschen ziehen sich in ihre »Social-Media-Bubbles« zurück. Daher ist es wichtig, zusammenzukommen. Nicht übereinander, sondern miteinander zu reden, Vorbehalte abzubauen durch Gemeinschaftserlebnisse. Menschen brauchen Begegnung. Daher ist mir vor der Zukunft der Stadtfeste nicht bange. Die Finanzierung wird die Herausforderung. Ohne Unterstützung werden die Veranstalter das dauerhaft nicht stemmen und das sollte unserer Gesellschaft etwas wert sein.

Vielen Dank für Eure Beiträge!

Die komplette showcases-Ausgabe findest du hier: https://ebooks.memo-media.de/fokus-stadtfeste-i-showcases-2025-04/70781442

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k.meisner@memo-media.de

Redakteur bei showcases

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